Über den Ersten Weltkrieg lässt sich streiten; außer den damaligen Siegermächten anno 1919 - speziell Frankreich - und später mal Fritz Fischer mit seinem Werk "Griff nach der Weltmacht" wüsste ich derzeit keinen weiteren ernsthaften Vertreter einer deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg.
Ich, nebenbei, unterstütze diese These auch nicht. Die Bündniskonstellation war damals haarig, KuK-Österreich sann auf Rache für Sarajewo und wollte sich dabei auf dem Balkan noch ein wenig breiter machen (so von wegen "Serbien muss sterbien"), und das rief Russland auf den Plan, welches sich nach der Bosnischen Annexionskrise 1908 nicht noch einmal düpieren lassen wollte. Naja, und mehr Einfluss auf dem Balkan wollte man auch, also war hier der "Clash of Kings" (bzw. of Emperors) kaum mehr vermeidbar.
Deutschland hatte das, was es heute auch hat, nämlich jämmerlich-unfähige Außenpolitiker. Die damaligen konnten mit Bismarcks Bündnissystems nichts anfangen und manövrierten Deutschland in eine schlechte Position. Am Ende blieb eigentlich nur der Dreibund, aber Italien ließ sich von Frankreich quasi besser bezahlen und wechselte die Fronten, so dass Deutschland nur noch Österreich-Ungarn als letzter Bündnispartner blieb. Tja, und den wollte man nicht auch noch verlieren. Es bleibt hier die Frage, ob es unbedingt nötig gewesen wäre, durch die Besetzung Belgiens und der Niederlande unbedingt England in den Krieg mit hineinzubefördern. Andererseits ist kaum etwas so doppelzüngig wie... nennen wir es mal "angelsächsische Neutralität."
Frankreich hätte sich auch gerne mal eindeutiger äußern können als nur "wir handeln unseren Interessen gemäß", nachdem der Krieg offiziell war. Für Deutschland war es immer zu befürchten, dass man plötzlich den Franzosen im Lande hatte, wenn man alles, was man hat, nach Osten schickt. Dass man dann lieber selbst für vollendete Tatsachen sorgte und somit von vornherein gar nicht alles nach Osten werfen konnte, war wahrscheinlich auch nicht klug.
Was den 2. Weltkrieg betrifft, ist die Lage eine ganz andere. Polen anzugreifen war gar nicht nötig, aber die Nazis konnten ja gar nicht schnell genug damit anfangen. Was man bei den Westmächten kritisieren muss, ist, dass sie zu lange Appeasement betrieben haben; wahrscheinlich hat das die deutsche pro-Kriegsfraktion glauben lassen, dass England und Frankreich noch gar nicht kriegsbereit wären und daher nichts entgegensetzen könnten.
Nebenbei bemerkt: heute passiert das gleiche Spielchen, nur die Rollen sind anders. Man hat den Nazi-Staat Iran, und alles, was man aus Berlin oder Brüssel hört, ist Appeasement. Die Mullahs könnten heute ihre Truppen auf den Irak und danach auf die Arabische Halbinsel loslassen, und Steinmeier und Maas würden noch applaudieren.. nach dem Motto "Oh guckt mal, wie niedlich die Perser marschieren.... mal sehen, ob sie auch bis nach Jordanien kommen."
Dr. rer. Archivalia des Clubs und des Notquartiers
Archäologe ehrenhalber des Clubs und des Notquartiers