Argentinien will in die NATO
Von:
gabyweber@hushmail.com
An:
gabyweber@hushmail.com
Datum:
13.10.2024
Hallo in die Runde,
in der Annahme, dass es Euch interessiert: hier mein Artikel über den NATO-Beitritt (Global Partner) Argentiniens.
Schöne Grüße aus Buenos Aires, Gaby
https://overton-magazin.de/top-story/arg...partner-werden/
Argentinien will Nato-Partner werden
13. Oktober 2024 Gaby Weber
Am vergangenen Mittwoch lud die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in das Nobelhotel Alvear ein. Gemeinsam mit dem Think Tank CARI (Argentinischer Rat für Internationale Beziehungen) rührte die Vertretung der deutschen Christdemokratie die Werbetrommel für eine baldige NATO-Anbindung des südamerikanischen Landes. Auch die Deutsche Botschaft hatte ihren Militärattaché zur Unterstützung auf´s Podium abkommandiert, um die Wohltaten der Nordatlantischen Allianz über den grünen Klee zu loben.
An seiner Seite verkündete der norwegische Botschafter die „demokratischen Werte” und den Kampf des Militärbündnisses für die Frauenrechte in Afghanistan und würdigte die argentinische Beteiligung an dem NATO-Feldzug in den neunziger Jahren in Kosovo und Bosnien; damals regierte in Buenos Aires der rechtsgerichtete Peronist Carlos Menem. Die NATO sei seit ihrer Gründung, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, so Botschafter Sætre, ein Fanal für Freiheit und Menschenrechte gewesen. Die Zuschauer nickten, offensichtlich erinnerte sich niemand daran, dass zu ihren Gründungsmitgliedern die Diktatur in Portugal gehört hatte. Aber mit solchen Kleinigkeiten oder gar kritischen Meinungen wollte die Adenauer-Stiftung keine Zeit verlieren, hier ging es um Propaganda, nicht um Diskussion – sie hatte nur Vertreter für die Anbindung an den Atlantikpakt auf das Podium gesetzt, wie den Berater aus dem Verteidigungsministerium Fabián Calle.
Lediglich die Politologin Lourdes Puente von der Katholischen Universität warnte vor der Aufgabe der Neutralität. Sie sei zwar unbedingt für die Beteiligung an der NATO, aber auch am BRICS, dem Bündnis Brasiliens, Russlands, Indiens, Chinas und Südafrikas. Insbesondere Indien vertrete sehr erfolgreich seine Interessen auf westlichem wie auf BRICS-Parkett.
Im April hatte der neue Präsident Javier Milei in Brüssel die Aufnahme als „globaler Partner” in die Militärallianz beantragt, nicht als Vollmitglied, aber eingebunden wie bereits Australien, Südkorea und die Mongolei. Die deutsche Bundesregierung, so Attaché Peter Semrau in voller militärischer Kluft, unterstütze mit Nachdruck diesen Antrag. Damit wäre Argentinien, nach Kolumbien, das zweite Land in Südamerika, das den Status (Globaler Partner) besitzt – und zugleich Lückenbüßer, denn die derzeitige Regierung in Bogotá, „ignoriere” ihre Mitgliedschaft, bedauerte Semrau. Dort regiert seit August 2022 der linke Gustavo Petro, der sowohl innen- wie außenpolitisch auf Abrüstung setzt und der israelischen Regierung Völkermord in Gaza vorwirft. Für deutsche Christdemokraten und die US-Administration kein würdiger Vertreter im NATO-Kreis.
Washington feiert die neue Linie Mileis
In den vergangenen 25 Jahren hatten die Regierungen in Buenos Aires auf Neutralität gesetzt und sich mit den Nachbarländern abgesprochen. Das hatte eher schlecht als recht funktioniert, denn alle Versuche einer subkontinentalen Einigung hatten keinen wirklichen Erfolg. Der Mercosur kam über ein paar Zollabsprachen nicht hinaus, und UNASUR, die Union Südamerikanischer Nationen (gegründet 2008 in Brasilia), die auch eine militärische Zusammenarbeit vorsah, kam über Willenserklärungen nicht hinaus. Das lag vor allem daran, dass ihre Protagonisten wie Hugo Chávez (Venezuela) und Néstor Kirchner (Argentinien) starben und ihre Nachfolger wenig durchsetzungsfähig waren; Evo Morales (Bolivien) hat sich in interne Querelen verstrickt, und dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva steht eine mächtige innenpolitische Opposition entgegen.
Die Zeiten haben sich geändert, und dann trat im Dezember in Argentinien der wirre und rechtsradikale Javier Milei an, der Lula als „Kommunisten” beschimpfte und sich sofort, im vorverlegten Gehorsam, den Richtlinien der USA unterwarf. Das ging so schnell, dass nicht einmal das Pentagon vorbereitet war, und zur Belohnung seines neuen Mitläufers nur eine alte Hercules-Maschine abgeben konnte. Obwohl dieses Kampfflugzeug schon von der vorigen Regierung in Empfang genommen worden war, feierte es Milei als „Symbol der bilateralen Zusammenarbeit”.
Seit Jahren beschwert sich die US-Generalin Laura Richardson in Buenos Aires über den wachsenden Einfluss der Chinesen am Río de la Plata: Vor allem geht es um strategische Fragen wie das Lithium der Anden. Dort hat die Volksrepublik riesige Solarparks gebaut und sich im Gegenzug das begehrte Mineral gesichert, etwa in Jujuy.
Die Oberkommandierende des Südkommandos behauptete sogar vor dem US-Kongress, dass die Chinesen in Patagonien militärisch präsent seien, und führte als „Beweis” die seit zehn Jahren existierende Raumfahrtstation bei Neuquén an. Dort steht auf einem kleinen Grundstück ein Verwaltungsgebäude und ein Teleskop, und natürlich können alle Daten, die aus dem Weltraum gesammelt werden, auch militärisch genutzt werden. Doch wer einmal auf diese Anlage einen Blick geworfen hat – und im Gegensatz zu der US-Generalin habe ich das zumindest von außen getan – sieht, dass die Anlage ziemlich verlassen wirkt und nicht einmal größere Sicherheitsvorkehrungen vorhanden sind.
Nun will das Pentagon die Gunst der Stunde nutzen, um in Ushuaia, dem südlichsten Hafen direkt gegenüber der Antarktis mit ihren begehrlichen Bodenschätzen, einen Marinestützpunkt zu errichten. Und wenn Milei wirklich ein „Globaler Partner der NATO” werden will, muss er die Widerstände in seinem Land überwinden; und dabei ist die Adenauer-Stiftung gerne behilflich. Seine Regierung würde international aufgewertet werden, hieß es bei der Veranstaltung der KAS am Mittwoch, Waffenverkäufe, Informationsaustausch, Ausbildung und gemeinsame Manöver wurden versprochen. Bis dahin ist es noch weit, denn ein solcher Stützpunkt hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen, auch bei den eigenen Militärs. Nicht einmal die Vizepräsidentin Victoria Villaruel soll von dieser Anbindung begeistert sein.
Viele Fragen stehen im Raum: Warum soll sich Argentinien in Konflikte einmischen, mit denen es nichts zu tun hat, wie etwa in der Ukraine oder im Nahen Osten? Das Land habe durch eine Teilhabe nur zu verlieren und nichts zu gewinnen. Argentinien hat kein Problem mit seinen Nachbarn, niemand bedroht das Land, allenfalls werden mal aus Versehen jenseits der Landesgrenzen Solarpaneele aufgestellt, und dann beschwert sich höflich die chilenische Botschaft. Zwar verletzen die riesigen Fabrik-Schiffe, die innerhalb der 200-Kilometer-Zone ihre Netze auswerfen, regelmäßig die Souveränität. Aber bei ihrer Bekämpfung wird die NATO kaum helfen, schließlich stammen diese Fangflotten nicht nur aus China, sondern auch aus Spanien und Japan.
Und dann ist da die Geldfrage. Während Milei den Universitäten radikal die Finanzmittel streicht, Krankenhäuser und Kontroll-Behörden schließt, will eine Militarisierung finanziert werden, und die USA bieten nichts an, sondern wollen den Zugriff auf das argentinische Territorium gratis. Denn darum geht es: um die Kontrolle des Beagle-Kanals, der einzigen natürlichen Passage vom Atlantik zum Pazifik. Der Panama-Kanal ist für riesige Militärtransporter nicht geeignet.
Und schließlich sind da die Malwinen-Inseln, die „Falkland Islands”, wie sie in Europa genannt werden, ein Überbleibsel des britischen Kolonialismus, um das 1982 die argentinischen Streitkräfte einen Krieg vom Zaun gebrochen hatten. Die UNO fordert seit Jahren, hier eine diplomatische Lösung zu finden. Ist es nicht so, fragte bei der KAS-Propagandshow zaghaft ein ehemaliger Offizier aus dem Publikum, dass die NATO damals ganz klar auf Seiten Londons gestanden hatte? Ein schlechtes Thema, das die Veranstalter nicht vertiefen wollten.
Die argentinische Öffentlichkeit hat mit großem Interesse verfolgt, dass die britische Regierung gerade die Chagos-Inseln im Indischen Ozean an Mauritius zurückgegeben hat, unter der Bedingung, den Militärstützpunkt Diego Garcia, der vor allem den USA dient, weiter als ihr Gebiet aufrecht zu erhalten. Könnte die britische Regierung eine ähnliche Regelung für die Malwinen planen? Unabhängigkeit im Gegenzug für einen Militärstützpunkt? Bisher wiegelt London ab, aber irgendwas ist im Busch, was die Worte der Vizepräsidentin Villaruel vermuten lassen. Das argentinische Außenministerium hat gerade mit Großbritannien eine Absichtserklärung unterzeichnet, das Problem der umstrittenen Inselgruppe zu lösen. „Sie halten uns für bekloppt” (nos toman por tontos) – so Villaruel, die enge Beziehungen zu den Militärs unterhält.
NATO oder SATO?
Eigentlich ist die Idee der Anbindung des Globalen Südens ein alter Traum des Pentagons. Bereits in den siebziger Jahren, als in fast allen südamerikanischen Staaten Militärdiktaturen herrschten, war die Idee für eine SATO entstanden, einer South Atlantik Treaty Organisation. Kandidaten waren die USA, die wie in der NATO das Zepter führen wollten, sowie Großbritannien, Brasilien, Argentinien, Chile, Uruguay und das Südafrika der Apartheid, also alle nicht gerade lupenreine Demokratien, aber vertrauenswürdige Partner beim Kampf gegen den Kommunismus. Es ging um die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffe sowie um die Eindämmung des sowjetischen Einflusses, der damals wie heute äußerst überschaubar war.
Henry Kissinger nahm im Juni 1976 auf seinem Rückweg aus Südafrika in Chile an mehreren geheimen Sitzungen zum Thema SATO teil. Er wollte ein vereintes Kommando unter der Leitung der US Air Force. Während der Carter-Administration wurde das Projekt auf Eis gelegt, denn die Menschenrechtsverletzungen schränkten seine Militärhilfe an diese Diktaturen ein. Es kam noch zu einigen Treffen auf militärischer Ebene, bis 1982 die argentinischen Generäle zum Angriff auf die Malwinen bliesen, und die NATO (und Chile) unterstützten, wie gesagt, London.
Dann fielen die Diktaturen, ebenso die Berliner Mauer, und Südamerika hatte andere Probleme. Brasilien wollte seine guten Beziehungen mit den afrikanischen Staaten nicht gefährden (die Apartheid fiel 1994) und China begann, auf der südlichen Halbkugel im großen Stil zu investieren. Heute ist Peking für viele Länder des Globalen Südens (auch für Argentinien) der wichtigste Handelspartner, und die Seidenstraße braucht unbedingt die Verbindung des Pazifiks mit dem Atlantik. Und in Zeiten der Konflikte könnte dem Beagle-Kanal eine strategische Rolle zufallen. Er wird von Chile und Argentinien kontrolliert, und Milei ist bereit, die Kontrolle über ihn an das Pentagon abzugeben.